Drachenkunde, Teil 3 - tibetische Drachen
Im Himalaya und in Tibet gibt es natürlich auch Drachen. Wer in Tibet eine Runde dreht, begegnet auf dem Dach der Welt einigen Drachen. Tibet und der Himalaya sind ein Teil des Gebietes in dem der chinesische Drache seine Verbreitung findet. Im Süden des Himalayas, wo der indische Kulturraum angrenzt, vermischen sich jedoch die Drachenmythen mit denen der indischen Nagas. Beide wurden in der tibetischen Mythologie dann integriert und dem Klu zugewiesen. Ein sehr wichtiger Text der Bon Tradition ist die Schrift der hunderttausend Drachen (Klu). Sie wird in drei Teile unterteilt: die bunten Drachen, die schwarzen Drachen und die weißen Drachen. Die verschiedenen Strömungen der Glaubensrichtungen und Traditionen in dem Gebiet des ehemaligen Zhangzhung kennen sie und es gibt natürlich viele Berührungspunkte zu den chinesischen Drachen, auch wenn der tibetische Drache Druk ('brug) genannt wird. Eine weitere Schreibweise, die mir begegnet ist Zhug. Das kleine Königreich Bhutan heißt in tibetisch Druk Yul, das Land des friedlichen Drachens (oder des Donnerdrachens), die Bevölkerung Bhutans wird durch die Ethnie der Drukpa gebildet, die der Richtung des Drukpa Kagyudpa ('brug pa bka' brgyud pa) folgt. Die Tempel dieser Linie heissen natürlich Drachentempel.
Die Drukpa Linie ist einer der acht Dagpo Kagyu Traditionen (Dvags-po bKa-brgyud brgyud-chung brgyad), die auf Schüler des Pagmodrupa (Phag-mo gru-pa rDo-rje rgyal-po) zurückgehen. Der Name dieser Linie hat folgende Geschichte: Drukpa Gompa das zweite Kloster dieser Linie wurde 1206 durch den ersten Gyalwang Drukpa Tsangpa Gyare begründet. Lingchen Repa (gLing Ras-pa Pad-ma rdo-rje) - sein yidam, Chakrasamvara und guru - gab ihm den Aufrag, an einem bestimmten Ort ein zweites Kloster seiner Linie zu begründen. Als Tsangpa Gyare diesen Ort erreichte, erschienen am Himmel neun Drachen in einem Donner und es regnete weiße Rosen. Dieses Vorzeichen bewog Tsangpa Gyare, die Überlieferungslinie Drukpa zu nennen: Die Drachenlinie. Der Ort, der vorher nicht namentlich bekannt war, wurde Namdruk Sewa Jangchub Ling genannt: Wo die Drachen im Himmel flogen. Während der Lebenszeit des vierten Gyalwang Drukpa Kunkhyen Pema Karpo wurde der Hauptsitz der Drukpa Linie nach Druk Sangag Choeling (gSang-sngags chos-gling dGon-pa) verlegt, in der Jar Provinz Tibets. Nach dem Einmarsch der roten Armee wurde Nam-Druk völlig zerstört und heute leben dort nur noch wenige Mönche unter schwierigsten Umständen. Die Drukpa Linie ist allerdings heute sehr stark auch im Internet aktiv und sie kann unter Gyalwang Drukpa - vom zwöften Gyalwang Drukpa authorisiert - erreicht werden.
Drachen sind in Tibet mindestens genauso lange bekannt wie in China - beide Regionen liegen geographisch nah beieinander und der Himalaya ist zum großen Teil in die Volksrepublik China integriert. Archäologisch gesichert ist die Verbreitung des chinesischen Drachens im Himalaya seit der Tangzeit.
Die Überlieferung aus der Tangzeit, als der Botschafter Li Yuanding das damalige Königreich im Himalaya besuchte, berichtet davon, daß im Zelt des Königs Drachenfiguren zu sehen waren. Die Steintafel an Chido Songtsans Grab zeigt ebenso Drachen und im alten Reich der Guge wurden ebenso Drachenbilder gefunden. Im Kloster Jokhang in Lhasa winden sich zwei Drachen vor der Statue des Shakyamuni um zwei Säulen. In der Tangzeit kam Tibet dann auch mit der chinesischen Geomantie in Berührung. Lhasa habe im Süden den grünen Drachen. Auch im Gesar-Epos wird geschrieben, daß der Drache im Süden residiere. In diesem Heldenepos Tibets tauchen überhaupt sehr viele Drachen auf und symbolisieren Mut, Tapferkeit und Heldentum. Eine Zeile aus diesem Epos lautet: "Im blauen Himmel ist der Jadedrache. Er lebt in einer purpurnen Wolkenstadt. Um seine Macht zu zeigen, brüllt er und er sendet Donnerschläge wie Pfeilspitzen aus. Mit einem Schlag zerstört er des Adlers Nest und mit einem weiteren zerschmettert er die Spitze des roten Felsens."
Ein paar Beispiele der Drachengeographie im Himalaya habe ich zusammengetragen: In der Provinz Sichuan entspringt im Nordwesten ein Fluß, dessen Quelle in einer Berghöhle entspringt, in der sich zwei weiße drachenförmige Steine befinden. In der Provinz Gansu in Tibet wird dieser Fluß Zhugqu genannt: Drachenfluß. Der chinesische Name lautet Bailong (weißer Drachen). Natürlich liegt an diesem Fluß auch ein Distrikt mit dem Namen Zhugqu. Im Lintan Distrikt derselben Provinz gibt es noch zwei Seen, die Drachennamen tragen: Ama Zhugco - der See des Mutter Drachen, und Zhugmoco - Der Drachentochter See. An beiden Seen werden dem Zhug heute noch einmal im Jahr Opfer dargebracht. Zhug ist dort übrigens weiblich.
Druks zieren die Gebetsfahnen in einer Ecke und repräsentieren das Element Holz, neben dem Pferd, dem Schneelöwen, dem Tiger und dem Khyung (Garuda). Interessanterweise ist der Name dieser Gebetsfahnen in tibetisch rLung rta - zu deutsch Wind-Pferd. Neben dieser Bedeutung kann rLung rta auch mit "Glück" übersetzt werden und ist ferner mit der Vitalkraft an sich zu identifizieren - das hissen von Gebetsfahnen an günstigen Tagen soll das rLung rta eines Menschen erhöhen. Der Begriff rLung läßt Assoziationen zu dem chinesischen Wort lung anklingen, welches ja auch Drache bedeutet.
Druk selbst lebt in den Wolken und wird später, als der Buddhismus in Tibet Einzug hält, mit gZa assoziiert. Der tibetische Drache wird von den Naga - den Schlangen - unterschieden und wird unter anderem als magisches Wesen zum Schutz vor Feinden innerhalb magischer Praktiken eingesetzt. Er hat durchgehend fünf Zehen. Es ist eher so, daß das Krokodil häufiger mit Drachen in Verbindung gebracht wird, als die Schlangen. Druk ist das sogenannte "Vehikel" mehrerer Wächtergottheiten Tibets und der buddhistischen Lehre: So auch der ersten Thang-yig (oder brtan ma bcu gnyis: Tenma Chu-nyi) Dhag-nyi Chenmo Dorje Kundragma (bdag nyid chen mo rdo rje kun grags ma) - Sie wurde in Tsangtoe (gtsang stod) geboren und es heißt sie würde in Gungthang, Namtso (gnam mtsho), Chugma (phyug mo) etc. residieren. Sie hat dunkelblaue Hautfarbe und hält in ihrer rechten Hand ein Krokodilsbanner (chu srin gyi rgyal mtshan) und einen Handspiegel (me long). Eine weitere weibliche Schutzgottheit der tibetischen Lehre und Schriften ist eine der Hauptschutzgötter der Lehre der Kagyu Linie: Tekar Drosangma (gtad dkar ´theng po). Unter anderem bringt sie bei der richtigen Verehrung auch materiellen Wohlstand. Die Schutzgottheit des Dalai Lama und des Panchen rinpoche ist dPal ldan lha mo, sie zählt zu den mächtigsten Gottheiten Tibets und verzeichnet die Sünden der Menschen auf einem Kerbholz. Die ihr folgenden Schreckensgöttinnen reiten auf einem Khyung und einem Drachen.
Eine der älteren Bon Gottheiten Za (gZa) manifestiert sich in Hagelstürmen, Blitzschlägen und Energie im Allgemeinen. Diese Gottheit besitzt - wie es bei vielen tibetischen Göttern üblich ist - mehrere Gesichter, nämlich 18 und hat sechs Arme. Er wird ebenso auf einem Drachen reitend dargestellt. Er verursacht Stumpfheit der Sinne, Epilepsie und Wahnsinn, wenn er durch eine Unterbrechung des normalen Energieflusses beleidigt wird. Za ist der Patron der Magier und sein thanka schmückt so manches Kloster. Die Schamanen der Tamang in Nepal sehen den Drachen als wichtigen Verbündeten, ohne den sie weder in die untere noch in die obere (akash) Wirklichkeit reisen können. Außerdem sind Drachen ihre Helfer, wenn sie Krankheiten extrahieren. Rätsch zeigt in seinem Buch "Schamanismus und Tantra in Nepal" auf Seite 82 ein sehr schönes thangka, in der die schamanische Seelenreise graphisch beschrieben wird.
Es gibt eine weitere Klasse tibetischer Geister, die der Klu. Sie sind allerdings überwiegend negativer aspektiert, bedauerlicherweise. Die Mythen um die Klu haben sich jedoch im Laufe der Zeit mit dem Nagakult Indiens vermischt. Die Klu entsprechen den chinesischen Wasserdrachen und sie leben in Quellen, Seen und Flüssen. Auch kann man sie an besonderen Landschaftsformationen finden. Die Klu sollen vor langer Zeit aus sechs Eiern geschlüpft sein. Der König der Klu - Klu chen rgyal po - lebt in einem Wasserpalast, ganz wie es die chinesischen Drachenkönige zu tun pflegen. Er wird interessanterweise in den eher lichtscheuen Ritualen angerufen und im Kampf gegen Feinde sorgt er für das schnelle Ableben des Gegners, unter anderem. Die Weiblichen heissen Klu mo, die von der Königin Yum klu mo yak geführt werden. Auch nicht gerade eine nette Zeitgenossin, ihr Kleid besteht aus Schlangen und wenn sie ausreitet hat sie einen Sack voller Krankheiten mit dabei. Eine andere Klu mo besitzt ein Kleid aus leichter Seide und Federn, sie ist die Patronin junger Mädchen und der Frauen. Die mythischen Könige Tibets vor To ri long bstan hatten die Töchter von den Göttern und der Klu zur Frau. So hieß die Frau König Gesars Sengjam Zhugmo, die Tochter des Drachens. Es heißt von ihr, daß sie durch das Donnern eines Drachens geboren wurde. Heute heissen sehr viele Frauen Zhugmo. Klu zu erzürnen kann schwere Unwetter zur Folge haben. Auch werden die Klu sehr oft als Ursache für Krankheiten betrachtet und es gibt einige Riten, die diese Klu dann dazu bewegen sollen, die Krankheit wieder zurückzunehmen. Die bekannten Fadenkreuze spielen dabei eine wichtige Rolle.
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