Die traditionelle Engelsmagie
Mein eigener Zugang zu Engeln entspringt einer vollkommen anderen Sichtweise als der allgemein üblichen. Mein erster Kontakt mit der traditionellen Engelsmagie fand bereits Anfang der 80er Jahre statt. Bis ich zum Schamanentum fand, vergingen Jahre, in denen ich mich mit praktischer zeremonieller Magie beschäftigte und einige prägende Erfahrungen innerhalb der alten Engelsmagie sammelte. Die Form der Engelsmagie, die ich betreibe, können Sie auf meiner Website im Bereich "Enochiana" etwas ausführlicher betrachten. Hier an dieser Stelle bleibe ich eher auf die Engel selbst bezogen, als auf das Paradigma der alten Engelsmagie.
Als ich dann zum erstenmal mit dem Core-Schamanismus Harners in Berührung kam, wurde mir klar, daß ich die Reisetechnik schon in einer anderen Form kannte. Ich arbeitete damals bereits mit luziden Träumen und einer ähnlichen Form der Reisetechnik, die ich im Laufe der 80er Jahre erlernte.
Engel sind bei den Zeremonialmagiern letztlich auch die Boten Gottes oder der Schöpfung, mit einigen wesentlichen Unterschieden zum Volksglauben. Diese Kräfte sind in folgende drei Klassen unterteilt: Konstruktive, die Ordnung erhöhender, destruktive, die Entropie erhöhender und konservative, das Gleichgewicht anstrebender Natur. Die Kräfte wurden als Engel, welche die Ordnung schaffen, als Naturgeister und als Dämonen, welche die zerstörerischen, chaotischen Wesen ansprechen, bezeichnet und in den wenigen Kerntexten als gleichwertig betrachtet. Eine moralische Wertung wurde dabei nicht vorgenommen, sondern nur vorgeschoben. Es wurde mit allen diesen Engeln praktisch gearbeitet, oft zur gleichen Zeit.
Die Folgen der kirchlichen Verfolgungen bis in die Renaissance sind für die Praxis der Engelsmagie bis heute unabsehbar und katastrophal. Die Psychologisierung der Magie, wie Sie durch Crowley propagiert wurde, tat ihr übriges. Die Engelsmagie erholt sich davon nur langsam, dafür aber stetig, wie die ernstzunehmenden Publikationen der klassischen Texte in den letzten zwanzig Jahren belegen.
Nüchtern betrachtet besteht die Praxis dieser Magie darin, die chaotischen Kräfte durch die ordnungsschaffenden Kräfte in kontrollierte Bahnen zu bringen, um den Wunsch oder den Willen des Magiers auszuführen. Allerdings gibt es auch andere Ziele und Praktiken der alten Engelsmagie. So existieren ebenso präzise Anweisungen, wie ein Magier es vollbringen kann, "das Antliz Gottes zu schauen", wie es im "Liber Iuratus Honorii" niedergelegt ist. Das Konzept des heiligen Schutzengels wurde in der "Heiligen Magie des Abramelin" in der Praxis dargestellt. Die Kommunikation mit dem persönlichen heiligen Schutzengel des Magiers führt dazu, daß die chaotischen Kräfte beherrschbar werden. Damit wird ein Ziel der Engelsmagie erreicht.
Die Anzahl der Menschen, die diese Magie praktizierten, war immer sehr klein und wurde nicht selten nur vom Meister seinem Schüler weitergegeben. Dem Schüler oblag es dann, die dicken Manuskripte peinlichst genau von Hand zu kopieren - die Buchdruckkunst ging lange Zeit an den magischen Werken vorüber. Die Engelsmagie ist alles andere als harmlos oder risikoarm. Alle Kräfte, egal welcher Ausrichtung sie auch angehören mögen, wurden und werden mit äußerster Vorsicht angerufen, um die Risiken bei der Beschwörung zu minimieren. Logisch, daß ich als Heranwachsender meine Erfahrungen darin sammeln mußte.
Die Praxis dieser Engelsmagie unterscheidet sich grundlegend vom modernen Umgang mit Engeln, obwohl es sich um dieselben Kräfte handeln muß. Allerdings scheinen die heutigen, modernen Ansätze wenig Interesse an direkten materiellen Manifestationen zu zeigen. Ich habe persönlich den Eindruck, der Schwerpunkt liegt auf den Engeln der Liebe, des Schutzes und der Heilung. Die dem Menschen eher nahestehenden Engel versuchen offensichtlich genau diese Mangelerscheinungen unserer hektischen Gesellschaft zu heilen.
Allerdings wurde mir auch klar, daß die Menschen, die sich mit Engeln auf magischer Ebene beschäftigen, damals wie heute ihre Fehler dabei machen. In der Tradition wird mit Zwang gearbeitet, die Engel manifestierten sich natürlich. Dieser Ansatz ist brandgefährlich, weil die Kräfte nicht freiwillig erschienen, sondern dazu gezwungen werden. Der heute eher verbreitete Versuch, sich Engeln zu nähern, ist das komplette Gegenteil zum alten Ansatz. Allein die Tatsache, daß kaum ein Engelsmedium jemals eine Engelsanrufung in der Nacht und im Freien ausführt, zeigt, wie wenig über diese Wesen wirklich bekannt ist. Ob die Wesen, die diesen Menschen dann in ihrer Vision vielleicht erscheinen, auch wirklich Engel sind, wird nicht überprüft und läßt sich auch nicht feststellen. Dazu ist die Manifestation zu sporadisch, zu selten und zu unterschiedlich und die Personen, die davon berichten, kaum in der Lage, ihre Erfahrungen kritisch zu hinterfragen. Ein Blick quer durch die esoterischen Engelsforen gibt Ihnen da einen guten Überblick darüber.
Vor ein paar Jahren sah ich den Film "Michael" im Fernsehen. John Travolta spielt darin den Erzengel Michael, der auf die Erde gekommen ist. Was mir an diesem Film richtig Spaß macht, ist das Bild, das dieser Engel dort im Film bietet, weil es in einigen Punkten nicht so ganz dem Bild des in der Esoterik handelsüblichen personifizierten Helpingsyndroms des Universums entspricht. Auf diese recht aktiven Engel komme ich später zurück. Ein guter Teil der Komik des Films spielt genau mit diesem Widerspruch. Mich brachte der Film auf die Frage, wie denn Engel hier bei uns betrachtet werden. Es gibt dazu mehrere Antworten. Die drei monotheistischen Religionen betrachten die Engel als Boten Gottes, die dessen Wort überbringen, als Retter in der Not auftreten, aber auch als Engel der Vernichtung, wenn man sich die Bibel genauer durchliest.
Viele Christen glauben an einen Schutzengel, der Sie auf ihren Wegen beschützt. Im Tode erscheint ein Engel, der den Verblichenen ins Himmelreich geleitet. Ein sehr schöner Glaube, finde ich. Wenn ich durch die esoterischen Buchhandlungen und Läden gehe, fällt mir auf, daß die Engelsdarstellungen und die Eigenschaften der Engel sehr blumig und oft kitschig sind. Sie sind häufig dem leider unkritischen "Licht und Liebe" Denken angepaßt. Denkfähigkeit ist bei den Anhängern dieses modernen Engelskultes wohl eine der selteneren Eigenschaften. In meinem Freundeskreis erlebe ich glücklicherweise auch das Gegenteil. Hauptsächlich werden in diesen Büchern Engel sehr an die menschlichen Ansichten über Moral angepaßt. Etwas, das ein wenig naiv erscheint, wenn Sie sich darüber klar sind, wie unbedeutend der Mensch im Vergleich zum Universum wirklich ist.
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