Tod und Sterben - Schamanische Thanatologie
Und solang Du das nicht hast,
Dieses: Stirb und Werde!
Bist Du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
(Goethe, Ges. W. Bd. 1, S.221)
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Ein wichtiger Bereich der schamanischen Denkweise dreht sich um den Tod und das Sterben. Es ist ein sehr schwieriges Thema und mit ein paar Worten kaum zu erfassen. Die Subjektivität der Erfahrungen sowie die schlichte Unkenntnis darüber macht in unserem Kulturkreis einige Probleme: Jeder erlebt den Tod auf andere Weise. Dennoch will ich versuchen, Ihnen einen schamanischen Ansatz anzubieten.
Das Sterben ist allgegenwärtig. Jeden Tag sterben in unserer Umgebung Menschen, Tiere und Pflanzen. Ohne zu töten, können wir nicht überleben - auch Pflanzen sind Lebewesen. In unserem Körper sterben täglich viele Millionen Zellen, um von frischen ersetzt zu werden. Ein ständiges Werden und Vergehen. Doch irgendwann schlägt jedem die letzte Stunde und der Tod greift unvermeidbar nach unserer kurzen Existenz. Manchmal auch unerwartet. In Deutschland wird dieses Thema sehr erfolgreich aus dem alltäglichen Bewußtsein verdrängt. Kranke und Sterbenskranke werden in Krankenhäuser und Altenheime abgeschoben, wo sie dann sterben und manchmal auch krepieren - oft weit weg von der Familie und alleingelassen, ohne richtige Sterbebegleitung. Erst in den letzten Jahren begann sich dieser Mißstand langsam zu verändern. Hospize und Palliativstationen, die ein menschliches Sterben ermöglichen sollen, wurden und werden nach und nach eingerichtet. Das Sterben zuhause ist nicht ganz aus dem Bewußtsein geschwunden und ich durfte in den letzten Jahren viele Menschen zuhause in ihren letzten Stunden begleiten - als Krankenpfleger.
Eines der größten Probleme von uns Lebenden mit dem Tod ist die Unwissenheit über den Zeitpunkt, die Art des Todes und was danach kommen soll. Natürlich bieten uns die etablierten Religionen bequemerweise Möglichkeiten der Jenseitsgestaltung an: Im Christentum existieren der Himmel und die Hölle, in die man je nach Lebensführung kommt. Auch der Islam und das Judentum kennen derartige Einrichtungen im Zwielicht. Einige indische Religionsformen, darunter auch der Buddhismus, predigen die Reinkarnation und die damit verbundene Geisteshaltung, wie Sie sich zeitlebens am besten verhälten, damit Sie bei der nächsten Reinkarnation die besten Karten für eine Erlösung aus dem Rad der Wiedergeburten haben. Logisch betrachtet wird das also niemals stattfinden, wenn Sie genauer darüber nachdenken. Priester am Totenbett nehmen heutzutage dem Sterbenden die Beichte ab und spenden die Krankensalbung. Mehr nicht. Das Wissen um den Sterbeprozess ist verloren gegangen und wird dem Sterbenden in den allermeisten Fällen nicht vermittelt. Dabei ist der Sterbende gerade auf solche Informationen angewiesen, um einen möglichst einfachen Übergang zu bewerkstelligen und zu wissen, was drüben auf ihn wartet. Natürlich können im akuten Notfall diese Informationen nicht mehr übermittelt werden, jedoch gibt es in der etablierten Religion auf diese Fragen keine richtigen und praktikablen Antworten.
Im Rahmen der neu entstehenden Thanatotherapie ändert sich das jedoch langsam. Die einzige Religion, die den Prozeß des Sterbens und die Vorgänge danach einigermaßen richtig beschreibt, ist der tibetische Buddhismus. Das tibetische Totenbuch enthält für den Lebenden äußerst wertvolle Informationen, das Leben und damit den Tod zu gestalten.
Schamanen auf der ganzen Welt kennen die schamanische Initiationskrise, in der der Schamane stirbt und im Jenseits Informationen über sich, seine Fertigkeiten und seine Hilfsgeister erhält. Immer, wenn der Schamane sich auf den ekstatischen Seelenflug begibt, stirbt er erneut. Durch meine eigenen Erfahrung betrachte ich das schamanische Reisen als Vorbereitung auf den Tod. Innerhalb der schamanischen Reise bewegen Sie sich in einem Bereich der jenseitigen Welt, und können die verschiedenen Gesetze dieser Welt erlernen und beobachten.
Es gibt keine linear verlaufende Zeit im Zwielicht. Diese Zeitlosigkeit, oder Gleichzeitigkeit, kann für jemanden, der das lineare Zeitempfinden des Alltags als die einzige Möglichkeit der Wahrnehmung bisher gekannt hat, durchaus einige Knoten im Denken auslösen. Eine Minute im tiefen Zwielicht kann eine Stunde in der normalen Welt andauern und eine Stunde im Zwielicht ebenso gut nicht mal eine Sekunde im alltäglichen Universum. Das kann unter Umständen sehr verwirrend für den Reisenden sein, aber auch sehr informativ. So können vergangene Ereignisse besucht oder zukünftige Möglichkeiten erkundet werden. Meistens wird die Reise jedoch in die Vergangenheit führen, um Ursachen für aktuelle Schwierigkeiten zu finden und dem Klienten Seelenteile zurückzubringen. Dabei kann sehr weit in der jeweiligen Ahnenkette zurückgegangen werden, bis man fündig wird. Vergangene Ereignisse aus dem Leben des Klienten können sehr deutlich in diesen Reisen hervortreten, und es geschieht nicht selten, daß mit dem Bericht des Gesehenen verdrängte Ereignisse aus der Vergangenheit wieder bewußt werden.
Außerhalb der Raumzeitillusion, die als solche in den indischen Denkrichtungen maya genannt wird, ist Zeit nicht mehr existent. Ein Leben, so wie Sie es kennen, wird dort als ein in sich geschlossener Erlebnisraum wahrgenommen, der eine Begrenzung besitzt. Diese Begrenzung erfahren Sie innerhalb des Lebens als Geburt und Tod. Beide Vorgänge bezeichnen die eigentliche Begrenzung des physischen Lebens. Die Grenze ist immer dieselbe, obwohl Sie einmal als Anfang und einmal als Ende erfahren wird. Innerhalb der Raumzeit gelten alle physikalischen Regeln, wie beispielsweise die Thermodynamik.
Auch die örtliche Kontinuität ist im Zwielicht nicht unbedingt gegeben. Von einem Ort zum nächsten kann gesprungen (teleportiert) werden. Manche Geister wollen nicht, daß man sich vor ihnen materialisiert. Daher ist es besser, diese Eigenheit des Zwielichts nicht dauernd auszureizen. Die Flexibilität der Erscheinungen innerhalb des Zwielichts ist für viele Reisende ein Problem. Das Erlebte wird sehr schnell als erfunden oder blühende Phantasie abgewertet und nicht ernst genommen. Innerhalb des Zwielichts spielt das Bewußtsein eine sehr viel größere Rolle im Bestimmen der Erscheinungen. Viele Dinge entstehen im Gesichtsfeld des Reisenden just in dem Augenblick, wo er daran denkt. Ein Gesetz, das es ermöglicht, nach dem Tode seinen eigenen Himmel oder seine eigene Hölle zu finden - ganz nach den Erwartungen, die der jeweilige Todeskandidat auf das Jenseits projiziert. In der schamanischen Reise hingegen muß erlernt werden, diese Flexibilität richtig auszunutzen und für sich und die Gemeinschaft richtig zu interpretieren.
Was das Teleportieren betrifft, ist es in der Tat eher unhöflich, sich unangekündigt einfach fortzuteleportieren oder zu disapparieren, wie es bei "Harry Potter" so schön genannt wird. In einem luziden Traum erlebte ich einmal genau das - ich ging eine Straße entlang und hatte mit einem Mitreisenden ein sehr interessantes Gespräch. Ich unterhielt mich mit ihm weiter und plötzlich war er verschwunden. Einige Minuten später fand ich ihn dann am Bahngleis stehend. Es war nicht gerade rücksichtsvoll, einfach zu verschwinden. Ich hatte, als ich seine Abwesenheit feststellte, durchaus Schwierigkeiten, luzid zu bleiben. Die Situation wurde geklärt und wir gingen weiter unseren Geschäften nach.
Im Unterschied zur Astralprojektion, die sich sehr stark an die physische Ebene klammert, geht die schamanische Reise ein Stück weiter. Die oben genannten Gesetze der Zeitlosigkeit und der extremen Flexibilität lassen auf eine von der physischen Ebene "weiter entfernteren" Ebene schließen. Um zu Sterben, muß sich zuerst der Astralleib vom Physischen lösen - ohne Nabelschnur. Danach findet dann der Übergang in diese "höhere" Ebene statt.
Es gibt jedoch auch viele Verstorbene, die sich entschließen, in der Nähe der physischen Ebene zu verweilen. Sie können uns als Geister erscheinen oder in spiritistischen Sitzungen kontaktiert werden, wenn ein echtes Medium mitarbeitet. Es gibt vier mir bekannte Möglichkeiten, die sich nach dem Tod eröffnen können. Die erste Möglichkeit ist ein neues Inkarnieren in einen physischen Leib. Dabei ist die Zeitlosigkeit des Jenseits verwirrend, denn die Inkarnation kann in der Vergangenheit vonstatten gehen oder in der Zukunft. Im letzteren Fall wird der reinkarnierte Seelenkern in einem bereits älteren Körper wiedergefunden. Die zweite Möglichkeit besteht darin, sich im Totenreich oder im Zwielicht aufzuhalten. Diese Möglichkeit wird häufiger verwendet, als Sie jetzt wahrscheinlich denken. Die dritte Möglichkeit ist mit der zweiten nahe verwandt und bezieht sich auf das Verweilen in der Astralwelt, die der physischen am Nächsten ist. Dabei bleiben die drei Selbste miteinander in engem Kontakt. Zur Definition dieser drei Selbste komme ich an späterer Stelle, im Kapitel über Huna. Eine Trennung der Selbste voneinander führt zu Spukphänomenen und inkarnierenden Obsessionen - Teilseelen, die irgendeinen Tick endlos wiederholen wie im Kreis gehen, auf einem Schaukelstuhl wippen oder ähnliches. Eine Psychopomposarbeit kann für diese Fragmente hilfreich sein. Die letzte Möglichkeit ist die, daß der Seelenkern sich scheinbar auflöst und aufhört zu existieren.
Die Wahrnehmungen, die man als Körperloser von der materiellen Wirklichkeit hat, sind anders als die, die wir gewohnt sind. So können Körperlose in der Regel nicht ohne weiteres unsere gewohnten Farben sehen: Wenn überhaupt, dann sehen sie Fehlfarben. Röhrenbildschirme sind ungeeignet für die körperlose Wahrnehmung, da sie sehr viel schneller vonstatten geht, als die physische. Der Elektronenstrahl wandert quasi im Zeitlupentempo über die Mattscheibe. Bei Flüssigkristallanzeigen ist die Situation nur bedingt besser, denn dort werden dann die Kristallstrukturen wahrgenommen, aber nicht die Farben. Körperlose können sich jedoch die Sinne der in der physikalischen Wirklichkeit Lebenden "ausborgen" und die Farben und dimensionalen Aspekte so wahrnehmen, wie wir es gewohnt sind. Gegenstände, die ihnen wichtig sind, können in die andere Wirklichkeit "kopiert" werden, um dort verwendet zu werden - allerdings geht das nur mit noch existierenden Dingen. Ein Objekt, das vernichtet wird, kann auch nicht in der Vergangenheit kopiert werden, als es noch intakt war, obwohl Körperlose dem Zeitablauf nicht so unterworfen sind wie die Lebenden.
Es ist für Körperlose unter Umständen auch schwer, unseren Zeitablauf wahrzunehmen, was Sie bei den Tonbandstimmen beobachten können: Entweder sind sie viel zu schnell, oder sehr langsam. Ansonsten können sich Körperlose - solange sie sozusagen auf "einer Wellenlänge" sind - untereinander wahrnehmen. Sowohl die sichtbare als auch die unsichtbare Wirklichkeit der Körperlosen wird von ihnen wahrgenommen. Obwohl es viele Körperlose gibt, die auf Friedhöfen ihrem ehemaligen Leib nahe bleiben (warum auch immer) gibt es auch eine Anzahl sich frei bewegender Körperloser, die auch von Medien kontaktiert, oder bei einer schamanischen Reise gefunden werden können. Oft sind auch Körperlose verantwortlich für Rapporte - das spontane Materialisieren physischer Gegenstände - oder Ausfälle in der Elektronik.
In der schamanischen Reise kann das Totenreich, besucht werden. Diese Reisen sind oft sehr lange und ziemlich fordernd. Schamanisch Ungeübte sollten lieber noch die Finger davon lassen, außer Verstorbene verlangen es. Als ich zu schamanisieren begann, erschien einen Tag nach der ersten schamanischen Reise mein verstorbener Vater und bat mich, Seelenteile ins Jenseits zu bringen, die noch im Sterbezimmer herumhingen. Er bestätigte mir die Korrektheit des tibetischen Totenbuches, jedoch wies er mich auf eine Ungenauigkeit bezüglich der dort beschriebenen Phantasien hin. Er ist kein Tibeter, da ist diese Reaktion natürlich nachvollziehbar. Ich mußte innerhalb kürzester Zeit erlernen, wo das Totenreich ist und wie ich Seelenteile dorthin bringen konnte. An der Grenze zum Totenreich können sich diverse Wächter befinden. In den verschiedenen Mythologien sind diese Wächter gut beschrieben, z.B. in der griechischen der Fluß Styx mit Charon, dem Fährmann und Cerberus, dem Höllenhund. Wird man an der Grenze abgewiesen, ist dieser Aufforderung dringend Folge zu leisten. Dann hat man eben noch nicht die Erlaubnis, dorthin zu gehen. Verstorbene können natürlich innerhalb einer schamanischen Reise besucht werden.
Manchmal gibt es Gesetze, die er befolgen muß oder Tabus, die er beachten soll, wie Sie in diversen Legenden, beispielsweise von Orpheus und Euridike, lesen können. Die Erfahrung des eigenen Totenreiches kann so überwältigend schön sein, daß der Wunsch nach Rückkehr sehr gering wird. Daher sollte ein Assistent über den Fortschritt der Reise wachen und gegebenenfalls den Reisenden an seine hiesige Existenz erinnern. Ein Versprechen, zurückzukehren, sollte eingefordert werden. Hilfreich kann dabei sein, dem Assistenten irdische Dinge mitzuteilen, die Sie im Jenseits wohl vermissen würden. Im Falle eines Falles erinnert Sie der Assistent an diese Dinge, um Sie zur Rückkehr zu bewegen.
Totenarbeit mit Verstorbenen sieht etwas anders aus. Der Schamane agiert als Psychopompos und geleitet die Seelen, die sich mit dem neuen Zustand nicht auskennen, zur Grenze des jeweiligen Totenreiches - ich selbst lasse mich "zum Eingang des Totenreiches des Klienten N.N." bringen, um den Klienten an Ort und Stelle abzuliefern und dem Totenreich zu übergeben. Bei Unfällen müssen viele Seelen hinübergeleitet werden. Menschen, die sich zeitlebens mit dem Jenseits intensiv auseinandergesetzt haben, brauchen kaum die Hilfe eines Schamanen. Plötzlicher Unfalltod oder Menschen, die sich nie Gedanken über den Tod gemacht haben, oder ganz einfach überrascht wurden, können sehr wohl von Schamanen gesehen und fortgebracht werden. Dabei können der Umgang mit den Seelen und die Tore ins Totenreich immer wieder verschieden sein. Natürliche Ereignisse können synchron zur Reise stattfinden. So brachen bei mir einmal Sonnenstrahlen durch eine Wolkendecke im Moment der Öffnung des Tores.
Sterbende Menschen umgibt eine Aura des Todes. Diese Aura zu spüren kann geübt werden. Ich selbst personifiziere diese Auren als den Tod, wie man ihn sich so vorstellt: Oft als Skelett mit Robe und Sense, aber immer wieder erscheint er mir auch als bezaubernd schöner Engel. Andererseits kann der Tod auch ein hübsches Mädchen sein. Diese Aura wird auch vom Sterbenden wahrgenommen. Thanatos und Eros sind Brüder.
Solchen Menschen können in kurzen Sitzungen die Techniken des Übergangs erläutert werden - immer vorausgesetzt, sie sind diesen Dingen gegenüber aufgeschlossen. Dabei ist es nicht wichtig, viele Details anzubringen. Als Medium des Überganges können Mandalas oder Spiralen benutzt werden, die der Sterbende in seiner Vorstellungskraft entlangwandert, bis er im Jenseits ist. Es kommt bei diesen Menschen nicht darauf an, sie zum Schamanen zu machen, sondern ihnen Techniken des leichten Übergangs zu zeigen. Während einer schamanischen Reise ins Totenreich zu sterben, ist der beste und schnellste Weg für den Sterbenden, den Übergang zu bewerkstelligen. Bleibt genug Zeit, kann das Krafttier und der schamanische Lehrer bereist werden, vielleicht unter Begleitung oder in einer geführten Reise.
Fehlt die Zeit, weil der Klient aufgrund eines Unfalles im Sterben liegt, kann das alles stark verkürzt und der Situation angepaßt werden: Indem sie den Übergang mittels eines mitgeführten Mandalas in kurzen Sätzen erläutern und führen. Es ist schwierig, in solchen Situationen adäquat zu reagieren. Wer schon einmal einen Unfall mit Toten und Schwerverletzten erlebt hat, wird diese Aussage bestätigen können.
Im Moment des Todes tritt der Teil der Seele, der ins Jenseits hinüberwechselt, durch das Kronenchakra aus. Unmittelbar davor öffnen sich die Chakren und eine Strömung hin zum Kronenchakra kann manchmal beobachtet werden. Eine Psychopomposarbeit kann auch gerade dann ausgeführt werden. Wenn Sie im Wechsel der Wahrnehmungsebenen geübt sind, können Sie dem Sterbenden den Übergang auf diese Weise erleichtern. Das kann auch im Stillen durchgeführt werden. In der Regel wird es auf diese Weise ablaufen müssen, da die Toleranz der meisten Angehörigen gegenüber schamanischen Dingen (noch) wenig ausgebildet ist, und natürlich die Situation selbst schwierig sein kann. Da ich es selbst noch nicht beobachtet habe, kann ich es nur anführen, daß die Seele durch das Sonnengeflecht austreten kann. Eine mir bekannte Hospizhelferin, die selbst schamanisch arbeitet, hat dies in seltenen Fällen beobachtet.
Das, was ich über Attraktoren im Artikel über die schamanische Reise erwähnt habe, trifft auf sehr viel intensivere Weise nach dem Tode zu. Im tibetischen Totenbuch tauchen diese Attraktoren ebenso auf. Am besten illustriere ich die Wirkung an einem Beispiel. Nehmen wir einmal an, Sie sind sehr stark suchtbetont in ihrem Leben. Ich führe dabei gerne die Sexbesessenheit ins Feld. Wenn Ihnen diese Form der Fixierung nicht bewußt ist, kann es dazu kommen, daß nach dem Tode diese Form der Fixierung schnell zu einem unüberwindlichen Attraktor wird, in dem dann die ultimative Erfüllung dieses Verlangens eine beinahe unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Der Haken an gerade diesem Verlangen ist, daß es mangels eines Körpers, der den Höhepunkt als Orgasmus kennt, niemals zu einem Höhepunkt kommen kann - obwohl er angestrebt wird. In der Parabel der Hölle wird das einfach erklärt: "Das Verlangen, das nie zur Erlösung kommt". Solange diese Tatsache nicht erkannt wird, bleiben Sie innerhalb des Attraktors haften und können sich nicht davon lösen. Wie auch in der weniger starken Intensität der Attraktorwirkung bei schamanischen Reisen ist hier die "Nicht Verhaftetsein - Nicht Desinteresse" Haltung der einzige Weg herauszukommen. Einzige Schwierigkeit ist eben, sich dessen bewußt zu werden.
Es gibt ja den bekannten Spruch, daß sich jeder selbst seinen Himmel und seine Hölle während des physischen Lebens zusammenbaut. Der größte und stärkste Attraktor ist übrigens die Raumzeitillusion. Sich von diesem Attraktor zu lösen ist noch einmal eine ganz andere Situation. Selbst das Nirvana der indischen Lehren ist letztlich nur eine Illusion. Deutlich wird dieser Umstand, wenn es im Dzogchen-Buddhismus heißt, samsara und nirvana seien identisch: Die alltägliche Existenz wird gleichgesetzt mit dem Nirvana, dem Zustand der liebenden Gewahrsamkeit, was nichts anderes bedeutet, als daß beides Ideen sind, die letztlich unserem Geist entspringen. Sich über diese Form von Ideen zu erheben bedeutet, der Nonlokalität der unmittelbaren Existenz gewahr zu werden und sich von jeglichen Vorstellungen loszulösen - auch der eines Nirvanas! Im Hinduismus wurde dazu ein wertvoller Gedankengang beschritten: Die Leere "sunyata" ist die Projektionsfläche der erfahrbaren Existenz. So ist es folgerichtig und unmittelbar, von der Identität des atman und brahman zu sprechen, wie es in den alten vedischen Texten nahegelegt wird. Ich streife diese Dinge hier nur, um zu vermitteln, daß es sehr wohl wertvolle und grundlegende große Gedanken gibt, die sich in einem anderen Denken manifestieren können, das übrigens langsam durch die Quantenphysik und die neuesten Erkenntnissen aus Physik und Parapsychologie immer mehr ins westliche Bewußtsein hineinfindet. Parapsychologie liegt weitaus näher an der modernen Physik, als an der Psychologie. Die Begrifflichkeit ist extrem unglücklich gewählt, impliziert sie doch eine Nähe zur Psychologie und nicht zur Physik.
Die modernen physikalischen Theorien nähern sich tatsächlich immer mehr den alten Aussagen der großen Philosophien und Glaubensrichtungen an, die seit Jahrtausenden überliefert werden. Die Nonlokalität des Seins beispielsweise wird beeindruckend durch das Phänomen der quantenphysikalischen Verschränkung von Teilchen demonstriert, die in dem alten Satz bereits deutlich gemacht wurde: "Alles ist mit allem verbunden." - in der Heimschen erweiterten Quantenfeldtheorie kommt Burkhard Heim zu dem Schluß, daß es ein Jenseits geben muß, da es eine logische Folge seiner Theorie ist. Er führte dabei auch die Konsequenz aus: Die Physik und Naturwissenschaft, die dem Menschen die letzte Hoffnung raubte, bringt diese Hoffnung dem Menschen nun zurück. Weg vom reinen Materialismus, hin zu einer ganzheitlicheren Auffassung der Natur, so wurde es auch durch den Neurologen John C. Eccles und die morphische Resonanz des Rupert Sheldrake bereits angedacht.
Es nimmt heute schon fast lächerliche Züge an, wenn sture Verfechter einer mechanistischen Weltsicht ihre Ansichten verteidigen. Gerade im seelischen Bereich gibt es jedoch mittlerweile nicht widerlegbare Beweise für eine Existenz nach dem Tode. Menschen, die unter kontrollierten Umständen im Krankenhaus eine Weile klinisch tot sind, berichten nach der Rückkehr von sehr beeindruckenden Erlebnissen, die oft auch OOBEs beinhalten. Menschen mit einer solchen Nahtoderfahrung werden im Tibetischen delog ('das log) genannt. Der Versuch, diese Erlebnisse als neurologische und psychologische Artefakte oder Reaktionen wegzurationalisieren, scheiterte in dem Moment, als bei einem dieser Patienten zeitgleich der Hirntod über mehrere Minuten lang dokumentiert wurde und der Patient just über diesen Zeitraum wesentliche Beobachtungen machte. Für mich ist die Diskussion dieser Mechanisten nichts weiter als eine Äußerung der Angst vor dem Unbekannten. Bezeichnenderweise werden auch skeptische Menschen einmal sterben. Wir treffen uns also irgendwann einmal drüben im Zwielicht, um ihren Standpunkt nocheinmal zu beleuchten, ja?
Ich möchte an dieser Stelle unbedingt darauf hinweisen, daß die Arbeit mit Sterbenden Verantwortungsbewußtsein erfordert. Es gehört sehr viel persönliche Stärke dazu, Sterbenden auf diese Weise zu helfen. Da man im normalen Leben nicht unbedingt häufig mit diesen Dingen konfrontiert wird, außer bei Unfällen, fehlt normalerweise eine einschlägige Erfahrung mit der Thematik. Den schamanisch Tätigen, die in Hospitälern und Hospizen arbeiten, kann dieser Artikel ein kleiner Fingerzeig sein, Sterbende besser zu betreuen. Priestern und anderen Mitgliedern des Klerus, die sich bereits mit der Thanatologie beschäftigen und schamanische Erfahrungen gesammelt haben (solche gibt es tatsächlich!), werden Anregungen in dieser kurzen Ausführung finden.
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